- Georg Ehrenfried Groß (genannt George Grosz) (1893–1959) zählt zu den bekannten Künstlern der Weimarer Republik. Er war Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der Novembergruppe, Mitveranstalter der Ersten Internationalen Dada-Messe sowie Mitbegründer politisch radikaler Zeitschriften. Von ihm geschaffene Kunstwerke waren zwischen 1921 und 1932 aufgrund des Vorwurfs, es handle sich um unzüchtige, gesellschafts- und kriegskritische Darstellungen, Gegenstand mehrerer Gerichtsprozesse.
Anfang der 1930er Jahre wurde George Grosz insbesondere durch die Ausstellung Modern German Painting and Sculpture des New Yorker Museum of Modern Art von 1931 und der 12th International Watercolor Exhibition des Art Institute in Chicago im Frühjahr 1932 in den USA als Künstler vermehrt wahrgenommen. Im Sommer 1932 lehrte Grosz als Dozent an der privaten Kunstakademie Art Students League in New York. Gleichzeitig konkretisierten sich seine mit Maurice Sterne (1877–1957) und dem Kunsthändler Israel Ber (auch I. B. oder J. B.) Neumann (1887–1961) entwickelten Pläne, das Sterne-Grosz-Studio zu eröffnen. So entschied Grosz zwischen Juni und September 1932, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Mitte Oktober 1932 kehrte er kurzzeitig nach Berlin zurück, um die Übersiedlung vorzubereiten. Am 12. Januar 1933, nur wenige Tage vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, verließen er und seine Frau Anna Luise Eva Grosz, geb. Peter, (1895–1960) Deutschland. Im Jahr 1938 erhielt Grosz die 1933 beantragte amerikanische Staatsbürgerschaft.
George Grosz wurde während des Nationalsozialismus aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus und seiner Weltanschauung individuell verfolgt. Zusätzlich und unabhängig davon wurden rund 500 Werke, darunter acht Gemälde, von ihm im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ 1937 aus öffentlichem Besitz beschlagnahmt und in Teilen in den gleichnamigen Propagandaausstellungen diffamiert. Auch wenn Grosz selbst betonte, er sei nicht aus politischen Gründen in die USA ausgewandert, so erschien ihm der Entschluss schon im März 1933 dennoch als „Wink des Schicksals“. Der Deutsche Reichsanzeiger notierte seine Ausbürgerung als deutscher Staatsangehöriger auf den 8. März 1938. In der Konsequenz wurden die nach der Ausreise 1933 noch in Deutschland verbliebenen Vermögenswerte des Ehepaares Grosz zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. In einem Entschädigungsverfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz machte Grosz auch Schaden an Eigentum und Vermögen hinsichtlich in Deutschland abhanden gekommener Kunstwerke geltend. Konkrete Werke konnte Grosz jedoch nicht benennen, sodass den Erben nach George Grosz 1971 im Vergleichswege eine pauschale Entschädigung von 50.000,00 Deutschen Mark zugesprochen wurde. - Das künstlerische Werk von George Grosz wurde ab 1923 von der Galerie Alfred Flechtheim GmbH vertreten. Zum Ende des Jahres 1931 beendete Alfred Flechtheim (1878–1937) die vertragliche Zusammenarbeit. Ab Juni 1932 war Grosz an der privaten Kunstakademie Art Students League in New York tätig. Gleichzeitig plante er, eine eigene Kunstschule zu eröffnen und entschied, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Als sich Grosz ab Oktober 1932 in Berlin aufhielt, um die Übersiedlung zu organisieren, versuchte die Galerie Alfred Flechtheim GmbH, ihre geschäftlichen Angelegenheiten mit Grosz zu regeln. Schon 1928 hatte der Künstler einen Schuldenstand von 16.200,00 Reichsmark gegenüber der Galerie Alfred Flechtheim GmbH aufgebaut. Die Verkäufe seiner Werke waren ins Stocken geraten und gemeinsame Strategien zur Wiederbelebung der Nachfrage missglückt. Kurz vor seiner Abreise nach New York hatte Grosz am 24. Mai 1932 gegenüber Flechtheim angemerkt, er „hätte überhaupt sehr gern unsere ganze Sache einmal richtig klargestellt“. Im Oktober 1932 schickte Curt Valentin (1902–1954), Mitarbeiter der Berliner Galerie Alfred Flechtheim, Grosz den Kontoauszug per 1. Oktober 1932, der Schulden in Höhe von 16.565,00 Reichsmark aufwies. Er bat den Künstler zu überlegen, auf welche Weise diese abgebaut werden sollten und machte gleichzeitig im Namen der Galerie den Vorschlag, dass Grosz sich verpflichtete, einen Teil des Betrages in bar zu begleichen, während die Galerie bereit wäre, „für den anderen Teil Aquarelle zu übernehmen“. Am 28. November 1932 hielt Valentin die Ergebnisse einer an diesem Tag stattgefundenen Besprechung mit Grosz für beide Parteien schriftlich fest. Demnach vereinbarte das Unternehmen gemeinsam mit Grosz, dass das Debetsaldo von 16.565,00 Reichsmark, wie schon im Oktober vorgeschlagen, von Grosz hälftig in Aquarellen, hälftig in bar zurückgezahlt werden sollte. Es war vorgesehen, dass Grosz ab dem 1. Januar 1933 alle zwei Monate fünf Aquarelle berechnet zu je 200,00 Reichsmark aus New York an die Galerie sandte sowie alle zwei Monate 500,00 Reichsmark überwies.
Alfred Flechtheim wurde während des Nationalsozialismus aus rasseideologischen Gründen individuell und kollektiv verfolgt. Angesichts der für ihn existenzbedrohlichen Entwicklungen in Deutschland entschied Flechtheim Anfang September 1933, den Wirtschaftsprüfer Alfred E. Schulte (1892–1972) für die Angelegenheiten seiner GmbH zu beauftragen. Während Schulte sich des Unternehmens annahm, reiste Flechtheim Ende September 1933 nach Paris, um dort mit seinem langjährigen Geschäftspartner Daniel-Henry Kahnweiler (1884–1979) eine Tätigkeit für die Mayor Gallery in London zu verabreden. Einen Bestand an Werken von George Grosz konnte Flechtheim von Deutschland nach Frankreich verbringen und informierte den Künstler in einem Schreiben vom 6. Oktober 1933, dass sich dessen „Bilder“ in der Galerie Pierre in Paris befänden. Bei einem Verkauf sollte der Erlös zu 50 % an Grosz, zu 25 % an die Galerie Pierre und zu 25 % an Flechtheim gehen, bis es gelungen sei, das Debetsaldo abzubauen. Nur drei Wochen später begann Schulte von Berlin aus mit allen Gläubigern und Schuldnern der Galerie Alfred Flechtheim GmbH Kontakt aufzunehmen und forderte Mitte November 1933 Grosz in diesem Zusammenhang auf, seinen Schuldenstand gegenüber der Galerie Alfred Flechtheim GmbH von inzwischen 16.255,00 Reichsmark in bar zu begleichen. Im Vergleich zu Oktober 1932 waren die Schulden somit innerhalb eines Jahres lediglich um 310,00 Reichsmark gesunken. Demnach hatte Grosz die im November 1932 verabredete Vereinbarung zur Rückzahlung nicht eingehalten, sonst hätte eine Reduzierung des Schuldbetrages um etwa die Hälfte stattgefunden.
Zu Ende März 1934 gelang es Alfred E. Schulte, einen außergerichtlichen Vergleich mit den Gläubigern der Galerie Alfred Flechtheim GmbH zu erzielen, der den Konkurs verhinderte und damit vorerst ein Weiterbestehen des Unternehmens ermöglichte. Welche Regelungen in diesem Zusammenhang mit George Grosz hinsichtlich seiner noch bestehenden Schulden getroffen wurden, lässt sich aufgrund fehlender Quellen nicht mehr nachvollziehen. Alfred Flechtheim versuchte, die in seinem Besitz befindlichen Aquarelle und Ölbilder in London und Paris zu verkaufen, da er dringend Bargeld benötigte. In einem Schreiben vom 15. April 1934 an Grosz erwähnte Flechtheim die Übereignung dieser Aquarelle und Ölbilder „als Sicherheit“: „Deine Aquarelle, die Du mir als Sicherheit ließest, sind in London unverkauft. Die Geschäfte gehen auch in England schlecht. (schlechter aber hier.) […] Noch schwerer als mit den Aquarellen, ist es mit den Oelbildern, die du mir gleichfalls als Sicherheit übereignetest. Sie lagen fast ein Jahr in der Galerie Pierre, die mich im[m]er vertröstete. […] Jetzt habe ich sie bei Billiet deponiert.“
Joseph Billiet (1886–1957) hatte bereits 1924 die erste Pariser Einzelausstellung mit Werken von George Grosz veranstaltet und stand seitdem mit dem Künstler in Verbindung. Nun präsentierte die Galerie Billiet den von Alfred Flechtheim übergebenen Bestand im April 1934 der Öffentlichkeit. Paul Westheim (1886–1963), der 1933 nach Frankreich geflohen war, verfasste eine Rezension der Ausstellung im Pariser Tageblatt, die er Grosz nach New York zur Kenntnis sandte. Flechtheim selbst organisierte im Juni 1934 und im April 1936 Einzelausstellungen des Künstlers in London, über die auch I. B. Neumann von Flechtheim und Daniel-Henry Kahnweiler informiert wurde. Im Juli 1936 fand eine Ausstellung George Grosz im Kunstzaal van Lier in Amsterdam statt. Carel van Lier (1897–1945) stand mindestens seit 1927 mit Flechtheim in geschäftlichem Kontakt, aber auch Grosz hatte den niederländischen Kunsthändler noch 1935 persönlich in Laren getroffen. Ende November 1936 versuchte Flechtheim, den New Yorker Kunsthändler Pierre Matisse (1900–1989) für eine Übernahme des Konvoluts von etwa 70 Werken zu interessieren, die sich zum Zeitpunkt des Angebotes in Amsterdam befanden. Die offerierten Mindestpreise deckten dabei nicht einmal 50 % der ausstehenden Schuldsumme. Etwa zeitgleich zu dem Angebot an Matisse erlitt Flechtheim eine schwere Blutvergiftung, an deren Folgen er versterben sollte.
Erzwungenermaßen hatte Alfred Flechtheim Anfang des Jahres 1936 die Liquidation seiner GmbH in Deutschland, die Scheidung von seiner in Berlin verbleibenden Ehefrau Bertha (genannt Betty/Betti) Flechtheim, geb. Goldschmidt, (1881–1941) sowie die damit verbundene Änderung seines Testamentes beschlossen. Nur kurze Zeit nachdem sein Unternehmen aus dem Handelsregister gelöscht worden war, verstarb Flechtheim am 9. März 1937 in London. Sein Alleinerbe wurde der Neffe seiner geschiedenen Frau Heinz Alfred Hulisch (später Henry Alfred Hulton) (1910–1992), der 1933 nach London geflüchtet war. Hulisch beauftragte die Londoner Anwaltskanzlei Herbert Oppenheimer, Nathan & Vandyk zur Regelung der Nachlass- und Erbschaftsangelegenheiten. Spätestens ab Oktober 1937 sind Verkaufsbemühungen der Nachlassverwaltung hinsichtlich der Werke aus Flechtheims Nachlass nachgewiesen. Fast ein Jahr nach dem Tod Flechtheims lieferte Carel van Lier über 70 Werke von George Grosz an das Amsterdamer Auktionshaus Mak van Waay. Der Bestand wurde als Nalatenschap Alfred Flechtheim te Berlijn (gedeeltelijk) Werken van G. Grosz [(Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim aus Berlin Werke von G. Grosz] von Lot 275 bis 336 innerhalb der Auktion Moderne en oude Schilderijen Aquarellen Teekeningen [Moderne und alte Gemälde Aquarelle Zeichnungen] angeboten, die am 1. und 2. Februar 1938 stattfand. Auch Ende Juli 1938 wurde noch eine durch Flechtheims Nachlassverwaltung autorisierte Versteigerung verschiedener Werke des Nachlasses in den Willis´s Rooms in London beworben.
a) Pompe Funèbre
George Grosz übergab das Gemälde Pompe Funèbre (1928) im Jahr 1929 der Galerie Alfred Flechtheim GmbH in Kommission. Diese stellte es ab Januar 1930 für Verkaufsausstellungen in der Hamburger Galerie Commeter und dem Kunsthaus Zürich sowie für eine Ausstellung des Deutschen Künstlerbund e.V. in Stuttgart zur Verfügung. Anschließend war es im Oktober 1930 Bestandteil der Ausstellung George Grosz. Ölgemälde und Aquarelle der Galerie Alfred Flechtheim in Düsseldorf. Von März 1931 bis April 1932 war es als Leihgabe der Berliner Galerie Alfred Flechtheim auf verschiedenen Ausstellungen in den USA zu sehen; so 1931 in der Ausstellung Modern German Painting and Sculpture des Museum of Modern Art, New York, sowie der Thirtieth International Exhibition of Paintings des Carnegie Institute Pittsburgh, die bis Frühjahr 1932 über Baltimore nach St. Louis wanderte.
Als Alfred Flechtheim sich ab Ende September 1933 in Paris aufhielt, informierte er George Grosz in einem Schreiben vom 6. Oktober 1933, dass sich dessen „Bilder“ in Paris in der Galerie Pierre zum Verkauf befanden. Obwohl die in der Galerie Pierre befindlichen Werke nicht explizit benannt wurden, ist davon auszugehen, dass das Gemälde Pompe Funèbre dort lagerte, denn es ist auf einer Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms, Paris, als Nr. 5 „Pompes funèbres“ verzeichnet. Diese sandte Flechtheim Grosz am 15. April 1934 gemeinsam mit einem Schreiben, in dem er bemerkte, die in der Galerie Billiet befindlichen Ölbilder, die Grosz ihm „als Sicherheit“ übereignete, haben fast ein Jahr unverkäuflich in der Galerie Pierre gelegen.
Ob das Gemälde Pompe Funèbre in der von Alfred Flechtheim für Frühjahr 1936 in den Londoner Leicester Galleries veranstalteten Ausstellung Paintings by George Grosz oder der anschließenden Ausstellung George Grosz im Kunstzaal van Lier in Amsterdam präsentiert wurde, lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen. Spätestens für Oktober 1937 ist sein Standort in den Niederlanden durch einen Brief von Charlotte Weidler (1895–1983) an Paul Westheim belegt: „Das Bild [gemeint ist Pompe Funèbre] ist mit vielen anderen von George G [unleserlich] Holland und man ist glücklich eins loszuwerden. Man sucht Abnehmer für den dortigen Bestand, den niemand haben will.“ Weidler bezog die Information von Betti Flechtheim, die hinsichtlich des Grosz-Bestandes im Nachlass ihres verstorbenen geschiedenen Ehemannes an die Londoner Anwaltskanzlei Herbert Oppenheimer, Nathan & Vandyk verwies.
Fast ein Jahr nach dem Tod Alfred Flechtheims lieferte der niederländische Kunsthändler Carel van Lier das Gemälde Pompe Funèbre zusammen mit über 70 Werken von George Grosz an das Amsterdamer Auktionshaus Mak van Waay ein. Dieses integrierte den Bestand als Nalatenschap Alfred Flechtheim te Berlijn (gedeeltelijk) Werken van G. Grosz [(Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim aus Berlin Werke von G. Grosz] in die Auktion Moderne en oude Schilderijen Aquarellen Teekeningen [Moderne und alte Gemälde Aquarelle Zeichnungen], die am 1. und 2. Februar 1938 stattfand. Die Werke von Grosz aus dem Nachlass Flechtheim kamen von Lot 275 bis 336 zum Aufruf; als Lot 293 wurde Pompe Funèbre von einem Käufer namens Slijper erworben. Die Annotationen des Auktionshauses im Katalog legen nahe, dass er für das Gemälde zusammen mit den zwei folgenden Katalog-Nummern, Lot 294 Frau im Mantel auf Diwan (1928) und Lot 295 Stillleben mit Spielzeugenten, Fächer etc. (1930) 11,00 Niederländische Gulden [15,07 Reichsmark] zahlte.
Vierzig Jahre später, im April 1978, wurde das Gemälde Pompe Funèbre erneut bei einer Auktion bei Mak van Waay in Amsterdam mit Verweis auf die Provenienz Alfred Flechtheim angeboten; ebenso im Juli 1979 bei Sotheby Parke Bernet & Co in London. Der Kunstverein Bremen erwarb es noch im gleichen Jahr aus Mitteln der Freien Hansestadt Bremen aus dem Bremer Kunsthandel. Es befindet sich im Bestand der Kunsthalle Bremen.
b) Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel
George Grosz übergab das Gemälde Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel (1931) im September 1931 der Galerie Alfred Flechtheim GmbH in Kommission. Für Mitte April bis Anfang Mai 1932 organisierte Alfred Flechtheim in Zusammenarbeit mit der Société L´Art Vivant eine George Grosz-Ausstellung in Brüssel im Palais des Beaux-Arts, auf der das Stillleben als „Ocarina, poisson et moules – 1931“ [„Okarina, Fisch und Muschel – 1931“] präsentiert wurde.
Die Provenienz des Gemäldes nach der Brüsseler Ausstellung ist von Mai 1932 bis Januar 1960 unklar. Ein Rückschluss von Nr. 25 „Ocarina“ der Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms, Paris, die Alfred Flechtheim George Grosz am 15. April 1934 sandte, auf das Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel steht ebenso in Frage, wie die Zuordnung eines undatierten französischen Zollstempels auf der Gemälderückseite zu dem von Flechtheim nach Paris verbrachten Bestand. Auch lässt sich das Gemälde weder in der George Grosz-Ausstellung des Kunstzaal van Lier im Juli 1936 noch in dem vom Amsterdamer Auktionshaus Mak van Waay im Februar 1938 angebotenen (Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim nachweisen. Allein ein Schreiben des zwischenzeitlichen Besitzers Leo Lionni (1910–1999) von Januar 1981, demnach sein Vater Louis Lionni (1888–1962) vier Werke von Grosz, u.a. ein Aquarell „Still-life with Ocarina“ [„Stillleben mit Okarina“], kurz nach dem Krieg [„soon after the war“] in Amsterdam erworben habe, könnte als ein Hinweis für den Standort des Stilllebens um 1945 gelesen werden, sofern unbeachtet gelassen wird, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Werk um ein Gemälde und nicht um ein Aquarell handelt.
Gesichert ist, dass Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel nach der Provenienzlücke von somit fast dreißig Jahren zu dem Besitz des Illustrators Leo Lionni in New York zählte. Dieser spendete das Gemälde im Januar 1960 an das New Yorker Museum of Modern Art zugunsten einer Benefizauktion am 27. April 1960 bei Parke-Bernet Galleries. Allerdings schied das Stillleben als nicht geeignet für die Benefizauktion aus und wurde stattdessen von dem Museum in die 103. Auktion vom 9.–10. Juni 1961 bei Klipstein & Kornfeld in Bern eingeliefert. Als es dort gleichfalls nicht versteigert werden konnte, erwarb es das Auktionshaus im Nachverkauf selbst und bot es zehn Jahre später in der eigenen 145. Auktion vom 15.–17. Juni 1972 an. Dort wurde es durch den Kunstverein Bremen aus Mitteln der Freien Hansestadt Bremen erworben. Es befindet sich im Bestand der Kunsthalle Bremen.
- Fest steht, dass George Grosz in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus und seiner Weltanschauung individuell verfolgt wurde. Dies ist auch zwischen den Parteien unstreitig.
Streitig ist, wann George Grosz sein Eigentum an den Gemälden verlor und ob es sich dabei jeweils um einen NS-verfolgungsbedingten Entzug handelte.
a) Pompe Funèbre
aa) Die Anspruchstellenden sind der Auffassung, das Gemälde Pompe Funèbre habe sich bis zu dessen Veräußerung anlässlich der Auktion 1938 bei Mak van Waay in Amsterdam als Kommissionsware im Besitz Alfred Flechtheims bzw. dessen Erbe befunden und somit im Eigentum von George Grosz gestanden. Diese Veräußerung im Rahmen der Auktion sei als NS-verfolgungsbedingter Entzug zu werten. Die Versteigerung sei ohne Wissen und Wollen sowohl der Nachfahren Flechtheims als auch von Grosz zum Zweck der Bereicherung des Einlieferers Carel van Lier erfolgt. Die Auktion sei eine Scheinauktion gewesen. Das Werk sei weit unter Marktwert veräußert worden und Grosz habe über den Erlös nicht verfügen können. Grosz habe sein Eigentum „auf sonstige Weise“ verloren. Zu seinen Gunsten gelte daher die Vermutungsregelung. Außerdem sei ein Eigentumsverlust durch Sicherungsübereignung an den langjährigen Galeristen von Grosz, Flechtheim, 1934 oder zuvor nicht erfolgt; es gebe keine Dokumente, die anderes belegen könnten. Ein Schreiben des Rechtsanwalts der Erben nach Alfred Flechtheim aus dem Jahr 2009, wonach diese keine Ansprüche an dem Gemälde geltend machten, sei als Ausdruck dafür zu werten, dass auch die Erben nach Alfred Flechtheim Grosz als Eigentümer des Gemäldes sehen.
bb) Die Freie Hansestadt Bremen vertritt die Auffassung, George Grosz habe das Gemälde an Alfred Flechtheim zur Sicherheit der bestehenden Schulden übereignet, und dies vermutlich bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Die Auktion 1938 in den noch nicht besetzten Niederlanden und somit außerhalb des NS-Machtbereichs habe nicht im Zusammenhang mit der Verfolgung von Grosz gestanden. Anzeichen für eine Scheinauktion und eine Bereicherung durch Carel van Lier lägen nicht vor.
b) Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel
aa) Die Anspruchstellenden vertreten die Auffassung, das Gemälde Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel habe sich 1934 bei der Galerie Billiet in Paris und danach in den Niederlanden befunden, wo es 1939 NS-verfolgungsbedingt an Louis Lionni verkauft worden sei. Es gebe keine Belege für einen Verkauf 1932 in Brüssel anlässlich der von Alfred Flechtheim in Zusammenarbeit mit der Société L´Art Vivant organisierten George Grosz-Ausstellung, auf der das Stillleben als „Ocarina, poisson et moules – 1931“ [„Okarina, Fisch und Muschel – 1931“] gezeigt wurde.
bb) Die Freie Hansestadt Bremen ist der Auffassung, das Gemälde lasse sich nach dessen Ausstellung in Brüssel im Mai 1932 nicht mehr verorten und sei in diesem Kontext möglicherweise verkauft worden. Es fehle ein Beweis, dass es sich um das streitbefangene Werk handele, welches 1934 in Paris von der Galerie Billiet als „Ocarina“ geführt wurde. Der dort vermerkte Preis von 600,00 Francs [98,88 Reichsmark] spreche dafür, dass es sich um ein Aquarell und nicht um ein Gemälde gehandelt habe. Für einen Verkauf in den Niederlanden an Louis Lionni 1939 gebe es ebenfalls keine Beweise. Ein Brief von Leo Lionni belege vielmehr, dass der Verkauf des Gemäldes erst nach Kriegsende erfolgt sei. Die Anspruchstellenden trügen die Beweislast hinsichtlich des Eigentums und dessen Verlusts im Verfolgungszeitraum.
- Nach Auffassung der Beratenden Kommission NS-Raubgut handelt es sich bei den Gemälden Pompe Funèbre und Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel von George Grosz nicht um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Sie empfiehlt deshalb, die Gemälde nicht zu restituieren.
Maßstab für die Beurteilung des Sachverhalts ist nach der Verfahrensordnung der Beratenden Kommission NS-Raubgut die Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 (Neufassung 2019) (im Folgenden: Handreichung).
Die Rechtsnachfolge der Anspruchstellenden nach George Grosz wurde lückenlos nachgewiesen.
Die Handreichung unterscheidet zwischen Kollektivverfolgung und individueller Verfolgung. George Grosz wurde individuell aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus und seiner Weltanschauung verfolgt. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig und wurde in der Vergangenheit in verschiedenen Entschädigungsverfahren anerkannt.
a) Pompe Funèbre
Die Beratende Kommission NS-Raubgut ist der Überzeugung, dass George Grosz das Eigentum an dem Gemälde Pompe Funèbre durch Übereignung an Alfred Flechtheim spätestens im April 1934 verloren hat. Aber selbst, wenn eine solche Übereignung nicht stattgefunden haben sollte, hätte Grosz sein Eigentum an dem Gemälde spätestens auf einer Versteigerung 1938 in den Niederlanden verloren, ohne dass dies kausal auf seine Verfolgung zurückgeführt werden könnte, so dass ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht vorläge.
aa) Die Beratende Kommission NS-Raubgut geht davon aus, dass George Grosz sein Eigentum an dem Gemälde Pompe Funèbre in Folge einer Übereignung vor dem 15. April 1934 an seinen ehemaligen Galeristen Alfred Flechtheim oder dessen GmbH verloren hat.
Das Gemälde wurde von George Grosz 1928 geschaffen und stand somit zunächst in seinem Eigentum. Unstreitig ist die Übergabe 1929 an die Galerie Alfred Flechtheim GmbH – gemeinsam mit zehn weiteren Ölbildern – als Kommissionsware zum Zweck des Verkaufs. Mit dieser Übergabe hatte Grosz sein Eigentum an dem Werk also nicht verloren.
Dafür, dass später eine Übereignung an Flechtheim oder seine GmbH stattgefunden hat, sprechen eine Reihe von Indizien, die zusammengenommen eine andere Beurteilung kaum erlauben. So schreibt Alfred Flechtheim in einem Brief vom 15. April 1934 an George Grosz: „Deine Aquarelle, die Du mir als Sicherheit ließest, sind in London unverkauft. […] Noch schwerer als mit den Aquarellen, ist es mit den Oelbildern, die du mir gleichfalls als Sicherheit übereignetest. Sie lagen fast ein Jahr in der Galerie Pierre, die mich im[m]er vertröstete. Aber dann weder sie, noch die Galerie Simon wollten sich damit abmühen. Geschäftsgang zu schlecht. Nicht allein hier, sondern auf dem ganzen Continent. Jetzt habe ich sie bei Billiet deponiert. Anbei dessen Liste und Preise. Vielleicht verkauft er was. Hoffnung hat aber weder er, noch ich.“
Dass kein schriftlicher Vertrag als direkter Beweis für die Übereignung vorliegt, hindert nicht, aus den vorhandenen Indizien andere Schlüsse zu ziehen als die Anspruchstellenden. Dass in dem von George Grosz geführten Logbuch über seine Werke und deren jeweiligen Verbleib diejenigen 12 Seiten fehlen, die die entscheidenden Zeiträume umfassen, so dass zu einer möglichen Übereignung kein Eintrag vorliegt, wirkt sich nicht zugunsten einer Seite aus. Vielmehr ist ergänzend zu berücksichtigen, dass Grosz seit spätestens 1928 Schulden in Höhe von ca. 16.200,00 Reichsmark bei der Galerie Alfred Flechtheim GmbH hatte, die mit leichten Schwankungen über die kommenden Jahre hinweg bestehen blieben. An eine Vereinbarung von November 1932 zwischen Grosz und der Galerie Alfred Flechtheim GmbH, nach der die Schulden (zu diesem Zeitpunkt 16.565,00 Reichsmark) ab Januar 1933 durch regelmäßige Zahlungen von Grosz sowie durch die Anrechnung für von ihm neu aus den USA zu liefernde Aquarelle abgebaut werden sollten, hatte sich Grosz augenscheinlich nicht gehalten.
Auch scheint George Grosz der schriftlichen Aufforderung des Wirtschaftsprüfers Alfred E. Schulte ein knappes Jahr später, den Schuldenstand von 16.255,00 Reichsmark zu begleichen, nicht nachgekommen zu sein. Dieser war von Alfred Flechtheim angesichts der zunehmend bedrohlichen Situation nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten eingesetzt worden, um einen drohenden Konkurs zu verhindern. Im Kontext der Verhandlungen mit den Gläubigern stand Schulte auch mit den Schuldnern in Kontakt. Er forderte Grosz mit Einschreiben nach New York vom 18. November 1933 auf, seine Schulden zu tilgen: „Die Galerie Flechtheim ist geschlossen. Ich bin zur Zeit mit der Auflösung des Unternehmens befasst. Ich versuche, den an sich unvermeidlichen Konkurs zu verhüten, indem ich versuche die notwendigsten Barmittel zur Befriedigung der vorberechtigten Forderungen zu beschaffen. Wie ich in den Büchern der Galerie festgestellt habe schulden Sie der Galerie noch einen Betrag von RM 16.255,--. Ich muss Sie bitten auf dem schnellsten Wege diese Schuld zu begleichen, weil ich das Geld dringend gebrauche. […] Ich bitte Sie meine Ausführungen mit dem nötigen Ernst behandeln zu wollen. Würde es mir nämlich nicht gelingen die Angelegenheit Flechtheim unter der Hand zu erledigen, so würde ein Konkurs unvermeidlich sein. Der Konkursverwalter würde aber ohne jeden Zweifel rücksichtslos die Forderungen an dortiger Stelle eintreiben lassen. […] Ich bitte Sie, mir nicht den Einwand zu machen, dass die Galerie von Ihnen noch Kunst in Kommission zum Verkauf hat. Wie Sie wissen, ist diese Kunst zur Zeit absolut unverkäuflich. Ich muss unter allen Umständen Bargeld von Ihnen haben.“
Eine Antwort von George Grosz oder weitere Schreiben Alfred E. Schultes liegen nicht vor. Die Parteien sind sich darüber einig, dass eine Zahlung in Folge dieses Schreibens von Grosz nicht erfolgt ist. Die Anspruchstellenden vertreten allerdings die Auffassung, die Schulden hätten nicht oder nicht in dieser Höhe bestanden, da Alfred Flechtheim seinerseits Kommissionsware von Grosz verkauft und die Grosz zustehende Marge nicht ausgekehrt habe. Für diese Behauptung legen sie ein Schreiben von Grosz an Flechtheim vom 24. Mai 1932 vor. In diesem lehnt er eine, anscheinend von Flechtheim vorgeschlagene, neuerliche vertragliche Bindung ab und konstatiert am Ende: „N[ota]B[ene]: ich hätte überhaupt sehr gern unsere ganze Sache einmal richtig klargestellt.“ Die Anspruchstellenden sehen darin den Beleg dafür, dass Grosz bei Flechtheim keine Schulden hatte. Dem kann die Beratende Kommission NS-Raubgut nicht folgen. Der Wunsch von Grosz, „unsere Sache“ klarstellen zu wollen, lässt den Schluss, Flechtheim habe umgekehrt ausstehende Zahlungen an Grosz nicht geleistet, nicht zu. Zudem fand im November 1932 eine Besprechung zwischen Grosz und der Galerie Alfred Flechtheim GmbH statt, deren Ergebnis Curt Valentin in einem Schreiben ausführlich zusammengefasst hatte. Danach sollte Grosz das Debetsaldo, das nach Aufrechnung aller Forderungen und Verbindlichkeiten beider Seiten eine Höhe von 16.565,00 Reichsmark aufwies, hälftig in Aquarellen und hälftig in bar zurückzahlen und zwar indem ab 1. Januar 1933 alle zwei Monate fünf Aquarelle berechnet zu je 200,00 Reichsmark aus New York gesandt werden sollten. Außerdem sollte Grosz alle zwei Monate 500,00 Reichsmark überweisen. Die in dem Verfahren vorgelegten Dokumente ergeben damit insgesamt ein konsistentes Bild der hohen Verschuldung von Grosz gegenüber der GmbH bzw. Person Flechtheim.
Ende März 1934 hatte Alfred E. Schulte eine Einigung mit den Gläubigern erreicht und den Konkurs abgewendet. Wenige Wochen später, Mitte April 1934, schickte Alfred Flechtheim den zitierten Brief an George Grosz, in dem er sich auf die Werke bezog, die sich ursprünglich in Kommission bei ihm befunden hatten, nun aber an ihn zur Sicherheit übereignet worden waren.
Die Beratende Kommission NS-Raubgut geht davon aus, dass es zur Übereignung des fraglichen Gemäldes sicherungshalber gekommen war. Dies ist im Kontext der Bemühungen Alfred E. Schultes im Jahr 1934 um einen außergerichtlichen Vergleich der Galerie Alfred Flechtheim GmbH mehr als plausibel. George Grosz hatte zu diesem Zeitpunkt die Schulden nicht abgetragen. Das streitbefangene Gemälde Pompe Funèbre befand sich seit Jahren bei der Galerie Alfred Flechtheim GmbH in Kommission. Nachdem Schulte Grosz sehr eindringlich um Zahlung gebeten hatte, diese aber nicht erfolgte, schrieb ihm Flechtheim den zitierten Brief, der die Erwähnung der zur „Sicherheit übereignet(en)“ Werke enthielt. Ob man diese Übereignung zur Sicherheit als Sicherungsübereignung im klassischen oder einem weiteren Sinn verstehen will, ist letztlich ohne Belang. Es darf jedenfalls davon ausgegangen werden, dass Flechtheim und Grosz in der Übereignung der Gemälde und Aquarelle noch nicht selbst die Begleichung der aufgelaufenen Schulden sahen. Vielmehr ist entsprechend den Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr von einer Sicherungsabrede dergestalt auszugehen, dass der Erlös der Bilder auf den Schuldenstand hätte verrechnet werden sollen; ein Mehrerlös wäre also an Grosz auszukehren gewesen, während ein Mindererlös seine Schuld in der dann verbleibenden Höhe hätte bestehen lassen.
Die Anspruchstellenden bestreiten, dass die in dem Brief von Alfred Flechtheim genannten „Oelbilder“, die zur Sicherheit übereignet worden waren, auch das Gemälde Pompe Funèbre umfasst hätten. Doch aus dem Wortlaut des Briefs („Noch schwerer als mit den Aquarellen, ist es mit den Oelbildern, die du mir gleichfalls als Sicherheit übereignetest. […] Jetzt habe ich sie bei Billiet deponiert. Anbei dessen Liste und Preise.“) in Verbindung mit der beigefügten Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms, die auch Pompe Funèbre aufführt, ergibt sich, dass die Werke, die Flechtheim der Galerie Billiet übergeben hatte, den übereigneten Bestand umfassten.
Zu berücksichtigen ist auch, dass George Grosz, wenn er mit der Übereignung nicht einverstanden gewesen wäre, ihr hätte widersprechen können und müssen. Es kommt hinzu, dass das Auktionshaus Mak van Waay den Bestand von Grosz Werken in seinem Auktionskatalog als (Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim aus Berlin bezeichnete. Schließlich hätte es nahe gelegen, dass Grosz spätestens als ihm der Tod Flechtheims im Jahr 1937 bekannt wurde, sich mit dem Verbleib der früher an Flechtheim übergebenen Werke auseinandergesetzt hätte, wenn er sich als ihr Eigentümer ansah. Dass er dies nicht getan hat, kann als weiterer Beleg für eine Übereignung auch des streitgegenständlichen Werks angesehen werden.
Der Auffassung der Anspruchstellenden, wonach ein Schreiben des Rechtsanwalts der Erben nach Alfred Flechtheim aus dem Jahr 2009, in dem diese festhalten, keine Ansprüche auf das Werk zu erheben, darauf schließen lasse, George Grosz sei der Eigentümer des Gemäldes geblieben, folgt die Beratende Kommission NS-Raubgut nicht. Das Schreiben lässt keinen Schluss auf das Eigentum an dem Werk zu – zumal der Rechtsanwalt zu dem Zeitpunkt sowohl die Erben nach Flechtheim als auch die Erben nach Grosz vertrat.
Die Freie Hansestadt Bremen ist der Auffassung, für eine Sicherungsübereignung spreche auch, dass George Grosz die Werke in seinem Entschädigungsverfahren in den 1950er Jahren nicht aufgeführt hatte. Aus Sicht der Beratenden Kommission NS-Raubgut lassen sich aus der fehlenden Auflistung seiner während des Nationalsozialismus abhanden gekommenen Werke keine sicheren Schlüsse auf die Art des Verlustes seines Eigentums ziehen.
Die Freie Hansestadt Bremen meint überdies, eine Sicherungsübereignung sei vermutlich bereits vor Machtergreifung der Nationalsozialisten und somit vor dem 30. Januar 1933 erfolgt. Sie schließt dies wohl daraus, dass George Grosz bereits vor seiner Emigration in die USA im Januar 1933 so hohe Schulden hatte, dass eine Sicherungsübereignung das naheliegende Vorgehen gewesen wäre. Angesichts der kurz vor der Machtergreifung im November 1932 zwischen der Galerie Alfred Flechtheim GmbH, vertreten durch Curt Valentin, mit Grosz verhandelten Vereinbarung darüber, wie Grosz in Zukunft seine Schulden sukzessive abzubauen habe – ohne einen Hinweis auf eine Umwandlung der Kommissionsware in Sicherungsware – ist die Annahme einer Sicherungsübereignung schon zu diesem Zeitpunkt nicht nahe liegend.
Es bleibt somit festzuhalten, dass spätestens bis 15. April 1934 das Eigentum an dem Gemälde Pompe Funèbre an die Galerie Alfred Flechtheim GmbH oder an Flechtheim persönlich überging.
bb) Die Übereignung durch George Grosz stellt nach Auffassung der Beratenden Kommission NS-Raubgut jedenfalls keinen NS-verfolgungsbedingten Entzug dar.
Für Verfolgte des NS-Regimes, zu denen George Grosz gehörte, gilt nach der Handreichung eine besondere Vermutungsregelung. Danach wird der Verlust eines Kulturguts aufgrund eines Rechtsgeschäfts innerhalb des Machtbereichs der Nationalsozialisten im Verfolgungszeitraum grundsätzlich als ein NS-verfolgungsbedingter Entzug gewertet (Handreichung, S. 35f.). Wenn wie hier, zum Zeitpunkt der Übereignung sich weder Grosz noch Alfred Flechtheim oder das Werk im NS-Machtbereich befanden, schließt das die Anwendung der Handreichung nicht zwingend aus. Indes ist es dann Sache der Anspruchstellenden, die Kausalität zwischen Verfolgung und Vermögensverlust darzulegen und zu beweisen. Daran fehlt es hier. Grosz hatte bereits ab spätestens 1928 Schulden in Höhe von ca. 16.200,00 Reichsmark bei der Galerie Alfred Flechtheim GmbH. Diese trug er weder bis zur Machtergreifung am 30. Januar 1933, noch in den kommenden Jahren ab. Auf verschiedenen Verkaufsaufstellungen, die Flechtheim in unterschiedlichen Ländern organisierte, waren die Werke von Grosz schwer verkäuflich. Grosz befand sich ab Mitte Januar 1933 in den USA. Er hatte dort einen Lehrauftrag und scheint sich in der Folge soweit wirtschaftlich etabliert zu haben, dass er mit seiner Familie ein Haus auf Long Island beziehen und gemeinsam mit dem Künstler Maurice Sterne unter Beteiligung von I. B. Neumann eine Kunstschule eröffnen konnte. Es fehlt an Hinweisen dafür, dass Grosz mittellos war und deshalb Zahlungen an Flechtheim auf seine Schuld unterließ. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er nach der Sicherungsübereignung seine Schulden beglichen oder damit begonnen hätte. Die Übereignung des Gemäldes kann daher nur als Folge seiner seit mindestens 1928 bestehenden Schuldenlast bei Flechtheim – nicht aber als Folge von Grosz‘ politischer Verfolgung – gewertet werden.
cc) Selbst, wenn die Auffassung der Anspruchstellenden zuträfe und eine Übereignung von Pompe Funèbre an Alfred Flechtheim oder dessen Unternehmen nicht stattgefunden hätte, wäre George Grosz das Eigentum an dem Werk nicht NS-verfolgungsbedingt abhandengekommen. Denn in diesem Fall müsste der Verlust des Eigentums an dem Werk als Folge der Einreichung von Pompe Funèbre auf der Auktion vom 1. und 2. Februar 1938 bei Mak van Waay in Amsterdam und dem dortigen Erwerb durch einen Käufer namens Slijper gesehen werden.
Unstreitig befand sich das Werk spätestens ab Oktober 1937 in Amsterdam. Carel van Lier lieferte es gemeinsam mit anderen Arbeiten von George Grosz bei dem Auktionshaus Mak van Waay ein. Dieses integrierte den Bestand als Nalatenschap Alfred Flechtheim te Berlijn (gedeeltelijk) Werken van G. Grosz [(Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim aus Berlin Werke von G. Grosz] in die Auktion Moderne en oude Schilderijen Aquarellen Teekeningen [Moderne und alte Gemälde Aquarelle Zeichnungen], die am 1. und 2. Februar 1938 stattfand. Die Werke von Grosz aus dem (Teil-)Nachlass Flechtheim kamen von Lot 275 bis 336 zum Aufruf; als Lot 293 wurde Pompe Funèbre von dem Käufer Slijper erworben. Die Annotationen des Auktionshauses im Katalog legen nahe, dass er für das Gemälde zusammen mit den zwei folgenden Katalog-Nummern, Lot 294 Frau im Mantel auf Diwan (1928) und Lot 295 Stillleben mit Spielzeugenten, Fächer etc. (1930) 11,00 Niederländische Gulden [15,07 Reichsmark] zahlte. Dieser Eigentumsübergang ist selbst dann erfolgt, wenn – wie von den Anspruchstellenden vorgetragen – van Lier die Werke ohne Berechtigung eingeliefert haben sollte. Denn das Eigentum ist auf den Erwerber übergegangen, unabhängig davon ob der Einlieferer Berechtigter oder Nichtberechtigter war – zumal van Lier in den damals noch unbesetzten Niederlanden nicht unter Einfluss des NS-Regimes handelte.
Die Eigentumsübertragung im Rahmen der Auktion stellt keinen NS-verfolgungsbedingten Entzug dar. Es gelten für die Bewertung des Eigentumsübergangs nicht die Regeln für Rechtsgeschäfte, sondern die für Verluste „auf sonstige Weise“. Denn dem Eigentumsverlust an dem Werk liegt zwar ein Rechtsgeschäft zugrunde, nicht aber eines, an dem George Grosz beteiligt war. Einlieferer an das Auktionshaus Mak van Waay war der Amsterdamer Kunsthändler Carel van Lier – in wessen Namen auch immer. Der Verlust eines Gegenstands „auf sonstige Weise“ ist nur dann NS-verfolgungsbedingt, wenn er durch die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten kausal verursacht wurde. Die Beweislast liegt hier bei den Anspruchstellenden. Zudem erfolgte der Eigentumsverlust auf der Auktion vor der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten, somit außerhalb des NS-Machtbereichs. Es sind zwar Fälle denkbar, in denen eine Vermögensverschiebung auch außerhalb des NS-Machtbereichs kausal auf eine Verfolgung durch das NS-Regime zurückgeführt werden könnte, aber aus Sicht der Beratenden Kommission NS-Raubgut fehlt es an der Kausalität zwischen der Verfolgung Grosz‘ und der Einlieferung zur Versteigerung durch van Lier und der anschließenden Auktion.
Die Anspruchstellenden gehen davon aus, dass die Einlieferung und die Versteigerung ohne Wissen und Wollen sowohl der Nachlassverwaltung Alfred Flechtheims als auch von George Grosz in betrügerischer Absicht zur Bereicherung Carel van Liers erfolgte, der auch der Hauptprofiteur der Versteigerung gewesen sei. Darin liege eine Ausnutzung der Verfolgungssituation von Grosz und diese sei mithin kausal für den Verlust geworden. Diese Darstellung wird durch die vorhandenen Quellen nicht gestützt.
George Grosz hatte während einer mehrere Monate dauernden Europareise Carel van Lier im Sommer 1935 persönlich in den Niederlanden getroffen. Ein Jahr später, im Juli 1936 veranstaltete der Kunstzaal van Lier in Amsterdam eine Ausstellung mit 25 Werken von Grosz. Durch die Zusendung eines Zeitungsartikels über diese Ausstellung durch Herbert Fiedler (1891–1962) war Grosz darüber unterrichtet. Es ist daher fernliegend anzunehmen, dass Grosz über den Verbleib seiner Werke in Unkenntnis war oder eine Veräußerung derselben seinen Interessen widersprochen hätte. Ebenso wenig wird eine Hintergehung des Erben Alfred Flechtheims durch die vorliegenden Quellen gestützt, die dann in ihrer Konsequenz auch Grosz zum Nachteil hätte gereichen können. Die Anwaltskanzlei Oppenheimer, Nathan & Vandyk vertrat den Nachlass Flechtheim nachweislich seit 1937. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie ihren diesbezüglichen Pflichten nicht nachgekommen wäre. Sie war auch in der Lage, diese wahrzunehmen, da sie wusste, wo sich Pompe Funèbre zum Zeitpunkt der Versteigerung befand. Das belegt ein Brief von Charlotte Weidler an Paul Westheim vom Oktober 1937. Der Brief macht deutlich, dass sich die Nachlassverwaltung nach Flechtheims Tod zunächst einen Überblick über den Nachlass verschaffen musste. Er macht ebenfalls deutlich, dass der Kanzlei im Oktober 1937, also noch vor der Einlieferung des streitbefangenen Werks in die Auktion, bekannt war, dass sich Pompe Funèbre in den Niederlanden befand: „Mit Betty F. sprach ich wegen ‚Pompe Funèbre‘. D. h. ich habe es schon ein paar Mal getan. Man wusste nur nicht, wo die Bilder hingeraten waren. Sie sagte mir, Du möchtest nach London schreiben. An die Adresse Messrs. Herbert Oppenheimer, Nathan, van Dyck & Mackay, London […] 152, Finsbury Square. Das Bild ist mit vielen anderen von George G [unleserlich] Holland und man ist glücklich eins loszuwerden. Man sucht Abnehmer für den dortigen Bestand, den niemand haben will.“
Der zu der Auktion eingelieferte Bestand war in dem Auktionskatalog bezeichnet als aus dem (Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim aus Berlin stammend. Auch in einer Auktionsankündigung und einer Besprechung in De Telegraaf vom 28. Januar 1938 und im Algemeen Handelsblad vom 29. Januar 1938 war der Nachlass Flechtheim ausdrücklich genannt. Es ist nicht ersichtlich, dass das Auktionshaus diese Ankündigungen und die Konkretisierung als (Teil-)Nachlass ohne Rücksprache mit der Nachlassverwaltung Flechtheims vorgenommen haben sollte. Nach den vorliegenden Unterlagen war Carel van Lier zudem nicht der primäre Nutznießer der Versteigerung. Er erwarb lediglich fünf Gemälde und drei Zeichnungen von den insgesamt über 70 Werken von George Grosz aus dem (Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim. Das Werk Pompe Funèbre wurde auch nicht von van Lier, sondern von einem Käufer namens Slijper erworben. Aus Sicht der Beratenden Kommission NS-Raubgut fehlen daher belastbare Hinweise dafür, dass van Lier ohne die Autorisierung der Nachlassverwaltung Flechtheims das Werk eingeliefert hat. Die Auktion Moderne en oude Schilderijen Aquarellen Teekeningen [Moderne und alte Gemälde Aquarelle Zeichnungen], innerhalb derer der (Teil-)Nachlass Alfred Flechtheim angeboten wurde, war auch keine Scheinauktion. Dass die Werke ohne Mindestpreise im Katalog angeboten wurden, kann als handelsübliche Verkaufstaktik gewertet werden, die darauf abzielte, mehr Bieter zu generieren. Die Auktion wurde in niederländischen Tageszeitungen beworben und war somit für jeden Interessenten zugänglich.
dd) Unter Berücksichtigung aller Umstände gelangt die Beratende Kommission NS-Raubgut daher zu der Empfehlung, das Gemälde Pompe Funèbre von George Grosz nicht an die Erben nach George Grosz zu restituieren.
b) Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel
Nach Auffassung der Beratenden Kommission NS-Raubgut ist das Gemälde Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel von George Grosz ebenfalls nicht als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu restituieren. Die vorgebrachten Indizien tragen die Annahme nicht, dass sich das Stillleben ab 1933 in Frankreich befand und Grosz weiterhin sein Eigentümer blieb. Doch selbst wenn „Ocarina“ auf der Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms von April 1934 identisch sein sollte mit Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel, folgt daraus kein NS-verfolgungsbedingter Entzug zu Lasten von George Grosz.
aa) Der maßgebliche Zeitpunkt für einen NS-verfolgungsbedingten Entzug ist nach der Handreichung (S. 35) der Zeitraum zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945. Daher ist sowohl die Frage relevant, ob sich das streitbefangene Werk im verfolgungsrelevanten Zeitraum im Eigentum von George Grosz befand, und wenn ja, ob es in diesem Zeitraum zum Verlust des Eigentums gekommen war. Beweispflichtig hierfür sind die Anspruchstellenden. Zu Überzeugung der Beratenden Kommission NS-Raubgut ist der entsprechende Nachweis nicht erbracht.
Das Gemälde wurde von George Grosz 1931 geschaffen. Im September desselben Jahres übergab er es an seinen Galeristen Alfred Flechtheim als Kommissionsware zum Verkauf. Dieser stellte es vom 23. April bis zum 6. Mai 1932 bei einer George Grosz-Ausstellung im Palais des Beaux Arts in Brüssel unter dem Titel „Ocarina, poisson et moules – 1931“ [„Okarina, Fisch und Muschel – 1931“] aus. Der Nachweis, dass Grosz das Eigentum an dem Werk trotz der Besitzaufgabe durch Übergabe an Flechtheim auch noch zum 30. Januar 1933 und damit im maßgeblichen Zeitraum behielt, ist von den Anspruchstellenden zu erbringen. Punkt 4 der Washingtoner Grundsätze trägt zwar dem Umstand Rechnung, dass Lücken in der Überlieferung nach so langer Zeit unvermeidlich sind und nicht zu Lasten der Opfer gewertet werden sollen. Diesen Gedanken nimmt auch die Handreichung auf, unter anderem in der expliziten Zulassung von Anscheinsbeweisen. Ein solcher setzt aber voraus, dass ein „unstreitiger/bewiesener Grundsachverhalt sowie historische Erkenntnisse vorliegen, wonach bei derartigen Fallkonstellationen typische Geschehensabläufe folgten.“ (Handreichung, S. 36) Da Grosz das Werk zum Verkauf übergeben hatte, liegt gerade keine Fallkonstellation vor, deren typischer Geschehensablauf zum Verbleib des Eigentums bei Grosz führen würde.
Es ist auch nicht nachgewiesen, dass das Gemälde Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel zu dem Konvolut gehörte, das Alfred Flechtheim nach Paris geschickt hat. Auf der Rückseite des Werks befindet sich – unstreitig – ein undatierter Stempel des französischen Zolls. Außerdem findet sich auf der Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms vom April 1934, die dem Schreiben von Alfred Flechtheim an George Grosz vom 15. April 1934 beilag, ein Werk mit dem Titel „Ocarina“. Die Freie Hansestadt Bremen geht davon aus, dass es sich hierbei um ein anderes Werk mit dem gleichen Motiv gehandelt habe. Grosz habe das Flötenmotiv mehrfach gemalt, so dass die Nennung „Ocarina“ für die Feststellung der Werkidentität nicht genüge. Außerdem sei der auf der Depotliste für „Ocarina“ veranschlagte Preis von 600,00 Francs [98,88 Reichsmark] so gering, dass sich auch daraus ergebe, dass es sich wohl um ein Aquarell und nicht um ein Ölgemälde gehandelt habe. Diese Argumentation zu der Einordnung des Preises stimmt mit dem Schreiben vom 15. April 1934 von Flechtheim überein. Dort informierte er, für Aquarelle einen Bruttopreis von „ca 100 M“ veranschlagen zu wollen. Aus einem anderen Schreiben Flechtheims an Pierre Matisse vom 22. November 1936 ergibt sich allerdings, dass Flechtheim für Gemälde von Grosz von einer Preisspanne ab 5,00 Pfund [61,75 Reichsmark] ausging und auch für Aquarelle 5,00 Pfund [61,75 Reichsmark] veranschlagte. Er sah somit für die Gemälde eine Preisspanne vor, deren unterer Bereich den gleichen Betrag aufwies, wie Aquarelle. Damit wäre das Argument, der Preis von nur 600,00 Francs [98,88 Reichsmark] würde auf ein Aquarell schließen lassen, abgeschwächt. Aus Sicht der Beratenden Kommission NS-Raubgut lässt daher die Preisangabe auf der Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms vom April 1934 weder einen Rückschluss auf ein Aquarell noch ein Gemälde zu. Allerdings genügen auch der undatierte französische Zollstempel auf der Rückseite des Werks sowie die Nennung von „Ocarina“ auf der Depotliste nicht, um davon ausgehen zu können, dass sich das Werk ab 1933 in Frankreich befand.
Selbst wenn Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel 1934 wie von den Anspruchstellenden vorgetragen von Alfred Flechtheim bei der Galerie Billiet deponiert worden wäre, würde es sich nicht um einen NS-verfolgungsbedingten Entzug handeln. Dann hätte auch dieses Werk, wie Pompe Funèbre, zu den an Flechtheim übereigneten Werken gehört. Denn das Schreiben von Flechtheim an George Grosz vom 15. April 1934 mit der beiliegenden Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms (auf der unter anderem ein Werk mit dem Titel „Ocarina“ vermerkt ist) bezieht sich auf Werke, die Grosz an Flechtheim zur Sicherheit übereignet hatte. Für diese Werke gilt, wie bereits oben ausführlich dargelegt, dass es an einer Kausalität zwischen der Verfolgung von Grosz und der Übereignung des Werks zur Sicherheit fehlt. Denn Grund dieser Übereignung waren Grosz‘ Schulden bei Flechtheim, die konstant seit spätestens 1928 bestanden hatten, und nicht die Verfolgungssituation.
bb) Auch wenn die Darstellung der Anspruchstellenden zugrunde gelegt wird, wonach sich Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel auf der Depotliste der Galerie Billiet / Pierre Vorms von 1934 nachweisen ließe und das Werk zu dem Zeitpunkt noch Kommissionsware gewesen sei, sich also 1934 noch im Eigentum von George Grosz befunden habe, fehlt ein Beweis dafür, dass er das Eigentum noch vor 1945, und damit möglicherweise NS-verfolgungsbedingt, verloren hätte. Der Nachweis eines Eigentumsverlustes im Verfolgungszeitraum obliegt den Anspruchstellenden. Das Werk war aber, unstreitig, weder Teil der Ausstellung in Amsterdam bei Carel van Lier 1936, noch der Auktion bei Maak van Way 1938 in Amsterdam, bei der Pompe Funèbre verkauft wurde. Darauf, ob das Werk irgendwann nach Amsterdam gelangte, kommt es nicht an. So tragen die Anspruchstellenden vor, dass sich der Standort des Stilllebens in Amsterdam aus einem Schreiben von Leo Lionni an den Sohn von Grosz, Peter Grosz, vom 20. Januar 1981 ergebe. Er berichtet über einen Ankauf seines Vaters, Louis Lionni, nach dem Krieg in Amsterdam: „Many years ago, soon after the war, my father [unleserlich] bought in Amsterdam 4 paintings by your father: 2 watercolors (‘On the Beach’ and ‘Still-life with Ocarina’) and two large oils ‘Selfportrait with model’ and ‘Promenade’.” [„Vor vielen Jahren, kurz nach dem Krieg, kaufte mein Vater [unleserlich] in Amsterdam 4 Bilder von Ihrem Vater: 2 Aquarelle ('Am Strand' und 'Stillleben mit Okarina') und zwei große Ölgemälde 'Selbstporträt mit Modell' und 'Promenade'.“]
Es gibt aber keinen Beleg dafür, von wem und wann genau Louis Lionni das Stillleben in Amsterdam erworben hat. Die Anspruchstellenden gehen davon aus, dass Lionni es bereits 1939, also nicht erst nach dem Krieg, wie in dem Brief beschrieben, in den Niederlanden erworben habe, können dies aber nicht untermauern. Dem widerspricht die Erinnerung von Leo Lionni, der von einem Ankauf nach dem Krieg berichtet. Auch ist unklar, ob sich Lionni bei der Beschreibung des Ankaufs seines Vaters darüber geirrt haben könnte, dass es sich bei dem „Still-life with Ocarina“ [„Stillleben mit Okarina] um ein Aquarell oder vielleicht doch um ein Ölgemälde gehandelt habe. Gesichert ist nur, dass das streitbefangene Werk 1960 von Leo Lionni dem Museum of Modern Art in New York für eine Benefizauktion angeboten wurde. Insoweit besteht hinsichtlich des Verbleibs des Werks eine Lücke entweder ab 1932, als es von Alfred Flechtheim in Brüssel ausgestellt wurde und möglicherweise verkauft wurde, oder ab 1934, als es sich womöglich bei der Galerie Billiet in Paris befand bis 1960, als es von Lionni dem Museum of Modern Art angeboten wurde.
cc) In der Gesamtwürdigung aller Umstände gelangt die Beratende Kommission NS-Raubgut daher zu der Empfehlung, das Gemälde Stillleben mit Okarina, Fisch und Muschel von George Grosz nicht an die Erben nach George Grosz zu restituieren.